Ein Kleinkind war in einen Teich einer Wohnanlage gestürzt. Der Kläger warf der Eigentümerin und Vermieterin vor, sie habe die Verkehrssicherungspflicht verletzt, zumal schon ein Jahr zuvor ein ähnlicher Unfall geschehen war. Teilweise gaben die Gerichte dem Kläger Recht. Sie sahen aber auch ein überwiegendes Mitverschulden der Eltern, weil das Kind zumindest wenige Minuten unbeaufsichtigt war.
Ein Unfall eines Kleinkindes im Jahr 2014 zog schwere Folgen nach sich und beschäftigte die Gerichte. Der damals zwei Jahre und einen Monat alte Junge wohnte mit seinen Eltern im Erdgeschoss eines Hauses in einer Wohnanlage.
Die Siedlung ist „offen“ angelegt: Es gibt keine Zäune oder Einfriedungen, die die Grundstücke voneinander trennen. Zu der Anlage gehört auch ein Teich. Südlich des Hauses befinden sich Häuser, die teils auf Betonstelzen in dem Teich stehen, sogenannte „Anglerhäuser“.
Der offen zugängliche Teil des Teichs ist umzäunt. Dieser Zaun endet an den Anglerhäusern; unterhalb dieser Häuser ist das Wasser also frei zugänglich.
Unfall und gegenseitige Vorhalte
Der Unfall ereignete sich, nachdem sich der Junge unbemerkt von der Terrasse der elterlichen Wohnung entfernt hatte. Unterhalb eines Hauses fiel er in den Teich. Eltern und Geschwister fanden ihn kopfüber im Wasser. Er konnte reanimiert werden, ist jedoch seither schwerbehindert.
Aufgrund dessen kam es zu einer Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegen die Eigentümerin und Vermieterin der Wohnanlage. Sie habe die Gefahren gekannt, zumal bereits 2013 an derselben Stelle ein ähnlicher Unfall passiert sei, bei dem ein Kleinkind fast ertrunken wäre. Trotzdem habe sie keine Sicherungsmaßnahmen ergriffen.
Die Eigentümerin sah hingegen nicht sich, sondern die Eltern des Klägers in der Verantwortung, sie hätten ihre Aufsichtspflicht verletzt. Zudem seien die Mieter schriftlich darauf hingewiesen worden, dass es verboten ist, die Teichanlage zu betreten und sich unter den Anglerhäusern aufzuhalten.
Gerichte zur Frage der Verkehrssicherungspflicht
Das Landgericht Potsdam verurteilte die Eigentümerin wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
Der Rechtsstreit setzte sich beim Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg fort. In seinem Urteil 3 U 30/22 vom 30. Januar 2024 äußerte es sich zunächst allgemein zur Verkehrssicherungspflicht.
Unter anderem hielt es fest: Es reiche aus, „diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend halten darf“, um andere vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zumutbar sind.
Dies gelte grundsätzlich auch für den Schutz von Kindern; dabei sei in besonderem Maß auf jene Gefahren Bedacht zu nehmen, die Kindern „aufgrund ihrer Unerfahrenheit, ihres Leichtsinns und Spieltriebes“ drohen.
„Gesteigerte Pflicht“ zum Schutz vor Gefahren
Angesichts dessen traf die Beklagte nach Ansicht des OLG „die gesteigerte Pflicht“, die Bewohner vor den Gefahren der Teichanlage zu schützen und diese zu minimieren.
Aufgrund der Gestaltung der Anlage habe die Beklagte damit rechnen müssen, dass sich Kinder auch außerhalb der eigenen Wohnungen und Gärten bewegen. Es sei für sie auch erkennbar gewesen, dass der Teich unter den Anglerhäusern auf Kinder „eine besondere Anziehungskraft“ ausübt.
Die Gefahr, dass Kinder den Teich aufsuchen und dabei zu Schaden kommen, sei für sie daher – trotz der schriftlichen Hinweise an die Mieter – „nicht ganz fernliegend“. Das OLG hielt auch fest, dass die Beklagte vom Vorfall 2013 und damit von der Gefahr des Teichs wusste.
Gleichwohl habe sie damals angeordnet, dass ein kleiner Zaun, den der Vater des damals betroffenen Kindes zur Absicherung errichtet hatte, von der Hausverwaltung wieder abgebaut wurde.
Konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung
In Bezug auf die Aufsichtspflicht der Eltern sagte das OLG, der Verkehrssicherungspflichtige dürfe sich in gewissem Umfang auf ein „Mindestmaß an sorgfältiger Beaufsichtigung“ durch die Verantwortlichen verlassen.
Die bloße Möglichkeit eines Aufsichtsversagens verpflichte den Grundstückseigentümer nicht schon dazu, Gefahren aus derartigen Aufsichtsversäumnissen zu begegnen. Dazu bestehe erst bei konkreten Anhaltspunkten für eine Gefährdung Anlass. Das sei hier der Fall.
Die Beklagte habe sich darüber im Klaren sein müssen, dass die Gefahr bestand, dass sich Kinder unbeaufsichtigt über das Gelände bewegen und in den Bereich des Teichs gelangen konnten. Jedenfalls aber sei sie zu Sicherungsvorkehrungen verpflichtet gewesen, nachdem sie von dem Vorfall des Jahres 2013 erfuhr.
Die Verbotshinweise an die Mieter wertete das OLG nicht als Entlastung für die Beklagte. Die Verkehrssicherungspflicht „konnte sie schon deshalb nicht auf ihre Mieter abwälzen, weil sie selbst die Entscheidung getroffen hat, diese Gefahrenquelle ungesichert zu belassen“.
Mitverschulden wegen Verletzung der Aufsichtspflicht
Das OLG sah aber auch eine Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Eltern des Klägers. Aufsichtspflichtige seien gehalten, Kleinkinder „auch nicht für kurze Zeit unbeaufsichtigt zu lassen“. Es müsse ihnen stets möglich sein, „Gefahrensituationen in kürzester Zeit zu erkennen und dementsprechend einzugreifen“.
Anders als das Landgericht bewertete das OLG das Mitverschulden der Eltern mit 70 statt 80 Prozent, jenes der Beklagten mit 30. Letztere wurde zur Zahlung von Schmerzensgeld und einer Schmerzensgeldrente verurteilt.
Das OLG stellte weiter fest, dass sie dem Kläger 30 Prozent der materiellen und immateriellen Schäden, die ihm aus dem Unfall in Zukunft entstehen werden, ersetzen muss, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen oder übergegangen sind.
(Quelle VersicherungsJournal 27.08.2024)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler*in – Künstler*in
juergenzwilling@auc-zwilling.de ursulazwilling@auc-zwilling.de