04.12.2023
Fahrradfahrer: Keine Geldbuße trotz Rotlichtverstoß

Fahrradfahrer dürfen ebenso wie Autofahrer nach einer angemessenen Wartezeit eine Kreuzung mit der gebotenen Vorsicht bei Rot überqueren, wenn sie davon ausgehen dürfen, dass die Lichtzeichenanlage defekt ist. Sie sind nicht dazu verpflichtet, eine seitlich befindliche, mit einem Anfrageknopf ausgestattete Fußgängerampel zu nutzen. Dies entschied das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg in einem Beschluss vom 11. September 2023 (5 Orbs 25/23).
Eine Fahrradfahrerin wollte im Juli 2022 eine mit einer Ampel gesicherte Kreuzung überqueren. Weil das Licht in ihrer Fahrtrichtung auf Rot stand, hielt sie ordnungsgemäß an.
Nachdem das Rotlicht nach einer Wartezeit von etwa fünf Minuten noch immer nicht erloschen war, vermutete sie einen Defekt. Sie überquerte die Kreuzung daher mit äußerster Vorsicht und ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei Rot.
Qualifizierter Rotlichtverstoß?
Dabei wurde die Frau von einem Polizeibeamten beobachtet. Der erstattete Anzeige.
Das Amtsgericht Hamburg verhängte gegen die Frau eine Geldbuße in Höhe von 100 Euro. Die Begründung: Es sei davon auszugehen, dass die Lichtzeichenanlage nicht defekt gewesen sei. Weil nur ein Fahrrad und nicht zusätzlich ein Kfz vor der Ampel stand, sei lediglich die Kontaktschleife nicht ausgelöst worden.
Aber auch wenn die Radfahrerin von einem Defekt ausgegangen sei, habe sie die Kreuzung nicht bei Rot überqueren dürfen. Denn anders als einem Kraftfahrer sei es ihr möglich gewesen, vom Fahrrad abzusteigen und die nur wenige Meter entfernte Fußgängerampel zu betätigen und zu nutzen. Sie sei daher wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes zu verurteilen.
Erfolgreiche Rechtsbeschwerde
Dieser Argumentation wollte sich das in zweiter Instanz mit dem Fall befasste Hanseatische Oberlandesgericht nicht anschließen. Es gab der Rechtsbeschwerde der Frau statt. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts hat sich die Beschuldigte in einem einen Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum befunden.
Zeige eine Ampel aufgrund einer technischen Funktionsstörung dauerhaft Rot, so dürfe eine Kreuzung nach einer angemessenen Wartezeit der Rechtsprechung zufolge von Kraftfahrern unter größtmöglicher Vorsicht und unter Ausschluss einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei Rot überquert werden.
Nicht verpflichtet, die Fußgängerampel zu nutzen
Diese Regelung sei auch auf Fahrradfahrer anzuwenden.
„Soweit sich das Amtsgericht an der Anwendung der einschlägigen Rechtsprechung gehindert gesehen hat, weil es angesichts der für die Betroffene gegebenen Möglichkeit zum Absteigen und zur Benutzung der in der Nähe befindlichen, mit einem Anfrageknopf ausgestatteten Fußgängerbedarfsampel an der Vergleichbarkeit fehle, verkennt es, dass die Betroffene nicht als Fußgängerin, sondern als Radfahrerin am Verkehr teilgenommen hat“, erklärte das Gericht.
Anders als vom Amtsgericht angenommen, sei die Beschwerdeführerin folglich nicht dazu verpflichtet gewesen, von ihrem Fahrrad abzusteigen und die Fußgängerampel zu nutzen.
Faktisches Durchfahrverbot
Es komme auch nicht darauf an, ob die Ampel tatsächlich defekt war oder nur die Kontaktschleife nicht darauf ausgelegt gewesen sei, auch wartende Fahrradfahrer zu registrieren.
Andernfalls seien Radler dazu gezwungen, auf ein in ihre Richtung fahrendes Kraftfahrzeug zu warten, um die Ampelanlage ordnungsgemäß passieren zu können. Das aber komme faktisch einem vollständigen Durchfahrtsverbot nahe.
(Quelle VersicherungsJournal 02.10.2022)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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