03.07.2023
Eigenes Gutachten veranlasst – Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht?

Einem Geschädigten steht selbst dann das Recht zu, sein durch einen Unfall beschädigtes Fahrzeug durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen begutachten zu lassen, wenn zuvor eine Besichtigung durch einen von dem Versicherer des Unfallgegners beauftragten Gutachter erfolgt ist. Dies entschied das Amtsgericht Berlin Mitte mit Urteil vom 2. September 2022 (104 C 40/22 V).
Der Kläger war mit seinem Fahrzeug auf einer mehrspurigen Straße unterwegs, als es zu einer Berührung mit dem Personenkraftwagen einer links neben ihm fahrenden Frau kam.
Die Unfallbeteiligten warfen sich gegenseitig vor, den Unfall verschuldet zu haben. Da sich der Fall nicht aufklären ließ, beteiligte sich der Kfz-Haftpflichtversicherer der Autofahrerin schließlich mit einer Quote von 50 Prozent an den unfallbedingten Aufwendungen des Mannes.
Kosten für Gutachten nicht übernommen
Der Versicherer weigerte sich jedoch, die Kosten für ein vom Geschädigten in Auftrag gegebenes Gutachten zu übernehmen. Das begründete er damit, dass er das gegnerische Fahrzeug unmittelbar nach der Schadenmeldung in Kenntnis des Mannes durch einen Sachverständigen habe besichtigen lassen.
Der Kläger habe daher durch die Beauftragung eines „eigenen“ Sachverständigen gegen seine Schadenminderungs-Pflicht gemäß § 254 Absatz 2 BGB verstoßen.
Eine Frage der „Waffengleichheit“
Dieser Argumentation schloss sich das schließlich mit dem Fall befasste Amtsgericht Berlin Mitte nicht an. Es verurteilte den Versicherer dazu, sich auch an den Kosten für das von dem Kläger in Auftrag gegebene Gutachten zur Hälfte zu beteiligen.
Nach Ansicht des Gerichts ist ein Geschädigter grundsätzlich dazu berechtigt, einen qualifizierten Sachverständigen seiner Wahl mit der Besichtigung seines Fahrzeugs zu beauftragen. Das gelte selbst dann, wenn das Fahrzeug zuvor bereits durch einen Gutachter des Unfallbeteiligten besichtigt wurde. Denn das gebiete der Grundsatz der „Waffengleichheit“.
Kläger wollte nicht verzichten
„Um sich vor einem hypothetischen Szenario schützen zu können, in dem der Haftpflichtversicherer des Schädigers von der Werkstatt in Rechnung gestellte Instandsetzungskosten als nicht unfallbedingt oder überhöht zu bezahlen ablehnt, muss der Geschädigte die Möglichkeit haben, diese Kosten substantiiert und beweiskräftigt gerichtlich einzuklagen“, heißt es dazu in der Urteilsbegründung.
Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Kläger auf die Einschaltung eines eigenen Gutachters verzichten wollte.
(Quelle VersicherungsJournal 17.01.2023)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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