Nicht immer stellt eine Missachtung einer Ampel bei einer bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase eine Pflichtverletzung im Sinne des Bußgeldkatalogs dar, die typischerweise die Verhängung einer erhöhten Geldbuße sowie eines Fahrverbotes rechtfertigt. Das kann insbesondere im Falle einer einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel der Fall sein. Dies entschied das Bayerische Oberlandesgericht in einem Beschluss vom 13. Dezember 2021 (201 ObOWi 1543/21).
Ein Autofahrer war von einem Amtsgericht wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes dazu verurteilt worden, eine Geldbuße von 200 Euro zu zahlen. Zudem wurde ihm ein einmonatiges Fahrverbot auferlegt.
Der Mann hatte mit seinem Fahrzeug zunächst bei Rot vor einer Baustellenampel gewartet, fuhr dann aber plötzlich los, obwohl die Ampel noch für sechs Sekunden Rotlicht angezeigt hatte. Seinen Verkehrsverstoß hielt er für nicht so schwerwiegend, dass von einem Regelfall auszugehen sei, der ein Fahrverbot rechtfertige. Denn ihm sei im Rahmen der nach seinen Angaben übersichtlichen einspurigen Verkehrsführung kein Fahrzeug mehr entgegen gekommen.
Unzureichende Ermittlungen
Der Autofahrer legte daher Beschwerde beim Bayerischen Oberlandesgericht ein. Dort errang er einen Etappensieg.
Die Richter stellten zwar nicht in Abrede, dass bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß in der Regel die Verhängung eines Fahrverbots gerechtfertigt ist. Ob von einem solchen Verstoß auszugehen sei, hänge jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab. Die hätten durch das Amtsgericht ermittelt werden müssen.
Umstände des Einzelfalls
Von einem Regelfall könne ausgegangen werden, wenn gewöhnliche Tatumstände vorliegen würden, in denen die Tatausführung der allgemein üblichen Begehungsweise entspricht und weder subjektiv noch objektiv Besonderheiten aufweist. Könne aufgrund konkreter Gegebenheiten eine auch nur abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden, handele es sich nicht um einen Regelfall.
„Sind mithin im Einzelfall Umstände ersichtlich, die einer auch nur abstrakten Gefährdung anderer Verkehrssteilnehmer entgegenstehen können, hat der Tatrichter nähere Feststellungen zu treffen, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung ermöglichen, ob die Annahme eines typischen qualifizierten Rotlichtverstoßes dennoch gerechtfertigt erscheint.
Ein solcher Umstand, der nähere Feststellungen zu den konkreten örtlichen Gegebenheiten sowie zu sonstigen verkehrsrelevanten Umständen gebietet, ist nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung das Vorliegen einer – wie hier – einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel“, so das Gericht.
Zurück an die Vorinstanz
Gemessen daran, würden sich die knappen Feststellungen des Amtsgerichts als unzureichend erweisen.
Um die Schwere des Rotlichtverstoßes zu verdeutlichen, hätte es Feststellungen des Amtsgerichts zur Tatörtlichkeit sowie zur konkreten Verkehrssituation bedurft. Dies könne etwa die Länge und Übersichtlichkeit der Baustelle, die Breite der befahrbaren Spur, Ausweichmöglichkeiten und eine etwaige Geschwindigkeits-Beschränkung betreffen.
Auch die Frage, ob Querverkehr in die Baustelle einfahren konnte und ob sich Gegenverkehr in der Baustelle befand oder vor dieser gewartet hatte, könne berücksichtigt werden. All diese Feststellungen habe das Amtsgericht nicht getroffen. Die habe es nun in einer neuen Verhandlung nachzuholen.
Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat sich im März 2018 ebenfalls mit einem Rotlichtverstoß im Bereich einer Baustelle befasst. In diesem Fall durfte der Verkehrssünder trotz beruflicher Härten einen Monat zu Fuß gehen (VersicherungsJournal 6.6.2018).
(Quelle VersicherungsJournal 04.02.2022)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
juergenzwilling@auc-zwilling.de ursulazwilling@auc-zwilling.de