30.05.2022
Keine Brustkorrektur auf Kosten der Krankenkasse

Frauen mit von Natur aus unterschiedlich große Brüsten haben in der Regel keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer angleichenden Operation durch ihren gesetzlichen Krankenversicherer. Das hat das Bundessozialgericht mit einem gestern veröffentlichten Urteil vom 10. März 2022 entschieden (B 1 KR 3/21 R).
Die Brüste der im Jahr 1994 geborenen Klägerin hatten sich während ihrer Pubertät unterschiedlich groß entwickelt. Ihre rechte Brust war deutlich kleiner als die linke. Im Alter von 15 Jahren bat sie daher ihre Krankenkasse, die Kosten für eine Mammaaufbauplastik ihrer rechten Brust zu übernehmen. Das lehnte der Versicherer ab.
Fünf Jahre später stellte sie einen Überprüfungsantrag. Der wurde von der Kasse ebenfalls abgelehnt. Die inzwischen junge Frau reichte daher Klage beim Hamburger Sozialgericht ein. Noch während des Verfahrens ließ sie die Korrektur auf eigene Kosten durchführen.
Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit
Das Sozialgericht verurteilte den Versicherer schließlich dazu, der Klägerin die Kosten der Operation zu erstatten.
Nach der Beweisaufnahme war das Gericht überzeugt, dass die junge Frau durch ihre unterschiedlich großen Brüste entstellt war. Der Makel habe zwar durch spezielle BHs und Kleidung kaschiert werden können. Bei der Bewertung einer Entstellung dürfe jedoch nicht nur auf den bekleideten Zustand abgestellt werden.
Denn Neugier und die abwertende Bewertung nahestehender Personen würden die psychische Gesundheit viel einschneidender beeinträchtigen. Das gelte insbesondere für Jugendliche, die im schulischen Bereich mit Sport- und Schwimmunterricht sowie Klassenfahrten konfrontiert seien und ihre Sexualität entwickelten.
Berufungsgericht fällt anderer Entscheidung
Die Krankenkasse wollte das Urteil nicht akzeptieren. Sie legte daher Berufung beim Hamburger Landessozialgericht ein. Das vermochte nach Vorlage von Fotos weder eine Entstellung der Klägerin im bekleideten noch im unbekleideten Zustand erkennen.
Eine möglicherweise durch die unterschiedlich großen Brüste ausgelöste psychische Problematik würde auf jeden Fall keinen operativen Eingriff rechtfertigen. Die könne auf Kosten des Krankenversicherers der Klägerin durch psychotherapeutische Maßnahmen behandelt werden.
Dieser Argumentation schloss sich das schließlich mit dem Fall befasste Bundessozialgericht an. Es wies die Revision der Frau als unbegründet zurück. Nach Überzeugung des Revisionsgerichts wirken die unterschiedlich großen Brüste der Klägerin nicht entstellend. Durch sie würde auch keine Körperfunktion beeinträchtigt, welches eine Leistungspflicht ihrer Krankenkasse auslösen könnte.
Bundessozialgericht: Keine erhebliche Auffälligkeit oder Entstellung
Für eine Entstellung genüge nicht jede körperliche Abnormität. Vielmehr müsse es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die erwarten lasse, dass sie sich schon bei flüchtigen Begegnungen in alltäglichen Situationen quasi im Vorbeigehen bemerkbar mache.
„Das heißt, dass die Betroffenen ständig viele Blicke auf sich ziehen, zum Objekt besonderer Beachtung anderer werden und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen drohen, so dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist“, so das Bundessozialgericht.
Von all dem könne im Fall der Klägerin nicht die Rede sein. Denn eine Entstellung setzte voraus, dass selbst die Offenbarung im privaten und vertrauten Bereich die Teilhabe, etwa im Rahmen der Sexualität, nahezu ausgeschlossen sei. Dazu müsse eine Auffälligkeit jedoch augenfällig abstoßend wirken.
(Quelle VersicherungsJournal 15.03.2022)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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