Ein Versicherter macht sich weder einer vorsätzlichen noch einer fahrlässigen Obliegenheits-Verletzung schuldig, wenn er im Rahmen der Meldung eines Vollkaskoschadens optisch unauffällige Vorschäden nicht angibt. Das gilt auch dann, wenn deren Beseitigung mit erhebliche Kosten verbunden ist. Die entschied das Oberlandesgericht Dresden in einem Urteil vom 16. Februar 2021 (4 U 1909/20).
Weil er sich durch ein Geräusch unter seinem Personenkraftwagen irritiert fühlte, hatte der Kläger bei der Ausfahrt aus einem Hof einen Pfosten sowie eine darunter befindliche Betonkante touchiert. Ein von seinem Vollkaskoversicherer beauftragter Sachverständiger kalkulierte die an dem Fahrzeug entstandenen Reparaturkosten mit knapp 5.400 Euro.
Bei der Besichtigung des Fahrzeugs hatte der Gutachter auch nicht reparierte Lackschäden festgestellt. Für deren Beseitigung wären Kosten in Höhe von etwas mehr als 1.600 Euro angefallen.
Kein Schutz wegen Obliegenheiten-Verletzung?
Der Versicherte hatte diese Schäden in der Schadenanzeige nicht angegeben. Daher machte ihm sein Kaskoversicherer wegen einer vorsätzlichen beziehungsweise arglistigen Verletzung seiner Obliegenheiten den Versicherungsschutz streitig.
Zu Unrecht, urteilte das Dresdener Oberlandesgericht. Es gab der Berufung des Versicherten gegen ein seine Klage abweisendes Urteil des in erster Instanz mit dem Fall befassten Landgerichts Leipzig in vollem Umfang statt.
Eine Frage der Auffälligkeit der Schäden
Nach Angaben des von dem beklagten Versicherer beauftragten Sachverständigen waren die durch den aktuellen Unfall entstandenen Schäden eindeutig von den Vorschäden abgrenzbar. Die Kratzer seien allerdings unauffällig und kaum zu erkennen gewesen.
Nach Überzeugung des Berufungsgerichts mussten sie daher einem durchschnittlich aufmerksamen und verständigen Versicherungsnehmer nicht ohne Weiteres auffallen. Zumal von diesem keine regelmäßige Sichtprüfung auf Kratzer und Parkschäden verlangt werden könne.
Für die Beurteilung der Frage, ob einem Versicherten vorgeworfen werden könne, dass er derartige Schäden in einer Schadenmeldung nicht angegeben habe, komme es auch nicht auf die Höhe der Kosten der Beseitigung an. Entscheidend sei vielmehr, wie auffällig die Schäden seien.
Versicherer nicht leistungsfrei
In dem entschiedenen Fall könne dem Versicherten, wenn überhaupt, allenfalls eine leichte Obliegenheits-Verletzung vorgeworfen werden. Die führe aber nicht zu einer Leistungsfreiheit seines Versicherers.
„Anhaltspunkte dafür, dass er die eher unauffälligen Kratzer bemerkt, sie gleichwohl in diesem Zusammenhang aber vorsätzlich gegenüber der Beklagten verschwiegen hätte, sind nicht ersichtlich, zumal auf seinen eigenen Lichtbildern vom Unfalltag die tiefen Kratzer am Kotflügel rechts und auf der rechten vorderen Fahrzeugtür überhaupt nicht sichtbar sind“, heißt es dazu in der Urteilsbegründung.
Das Gericht sah keine Veranlassung, eine Revision gegen seine Entscheidung zuzulassen.
(Quelle VersicherungsJournal 12.03.2021)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
- Versicherungsmakler-
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