Wird einem Verkehrsteilnehmer ein erheblicher Geschwindigkeitsverstoß nachgewiesen, darf nur in Ausnahmefällen aus beruflichen Gründen auf die Verhängung eines Fahrverbots gegen Zahlung einer erhöhten Geldbuße verzichtet werden. Das geht aus einem Beschluss des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 11. Juni 2019 hervor ((2 B) 53 Ss-OWi 244/19 (89/19)).
Ein Autofahrer war dabei ertappt worden, als er statt mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 70 Kilometer pro Stunde mit mindestens 123 km/h unterwegs gewesen war. Wegen des Verstoßes hätte er laut Bußgeldkatalog eine Geldbuße von 240 Euro zahlen müssen. Gegen den Beschuldigten wäre außerdem ein einmonatiges Fahrverbot zu verhängen gewesen.
Das Amtsgericht Bad Liebenswerda sah jedoch davon ab, das Fahrverbot anzuordnen. Stattdessen sollte der Autofahrer ein erhöhtes Bußgeld von 300 Euro zahlen.
Kein Fahrverbot: Besondere persönliche Härte
Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Verkehrssünder existenziell auf seine Fahrerlaubnis angewiesen sei. Denn seine knapp 60 Kilometer von seinem Wohnort entfernt liegende Arbeitsstelle sei nur mit einem Auto zu erreichen.
Zudem habe der Mann umfangreiche Tätigkeitsnachweise und Fahrtenbuchausdrucke vorgelegt und so nachgewiesen, dass er beruflich regelmäßig bundesweit tätig sei und dafür einen Pkw nutzen müsse. Es komme hinzu, dass er tätige Reue gezeigt habe. Denn er hat an einer vom TÜV Nord angebotenen kostenintensiven Maßnahme zur Fahreignung teilgenommen habe.
Eine derartige Maßnahme sei zwar nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung kein Grund, von einem Regelfahrverbot abzusehen. Im Fall des Beschuldigten würde die Verhängung angesichts der geschilderten Auswirkungen jedoch eine besondere persönliche Härte darstellen.
Abgesehen davon sei zu berücksichtigen, dass zwischen der Tat und der gerichtlichen Entscheidung 15 Monate verstrichen seien. Auch das würde in der Gesamtbetrachtung rechtfertigen, von einem Fahrverbot abzusehen.
Grobe Verletzung von Pflichten eines Kfz-Führers
Das sah die Staatsanwaltschaft Cottbus anders. Sie legte gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Rechtsbeschwerde beim Brandenburger Oberlandesgericht ein. Damit hatte sie Erfolg.
Die Begründung des Beschwerdegerichts: Auf das Fahrverbot darf nur verzichtet werden, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung von Pflichten eines Kfz-Führers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit beruhe, die jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer unterlaufen könne. Dafür spreche in dem vorliegenden Fall jedoch nichts.
Fehlende Belege für unverhältnismäßige Härte
Im Übrigen sei die unverhältnismäßige Härte, gegen die der Betroffene angegangen war, nicht ausreichend belegt gewesen. Eine solche könne zwar aus wirtschaftlichen Gründen vorliegen. Das gelte aber nur dann, wenn nachweislich schwere wirtschaftliche Schäden drohten, wie etwa der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Vernichtung der beruflichen Existenz.
Ob eine derartige Konstellation gegeben sei, lasse sich den Urteilsgründen des Amtsgerichts nicht entnehmen.
„Allein der Umstand, dass der Betroffene Vielfahrer ist, und nur dies findet sich im Urteil hierfür als der in erster Linie maßgebliche Aspekt, rechtfertigt nicht das Absehen vom Regelfahrverbot. Denn dem Betroffenen ist grundsätzlich zuzumuten, Nachteile, die sich für ihn aus der Verhängung des Fahrverbotes ergeben, durch ihm zumutbare Maßnahmen zu kompensieren, zum Beispiel durch die Inanspruchnahme von Urlaub“, so das Oberlandesgericht.
Zur Überbrückung notfalls einen Kredit aufnehmen
Das Amtsgericht habe offenkundig auch nicht geprüft, ob der Verkehrssünder die Dauer des einmonatigen Regelfahrverbotes hätte überbrücken können.
Dies hätte beispielsweise durch die Inanspruchnahme von Fahrern „aus dem Kreis der Verwandten, Bekannten, Studenten beziehungsweise Arbeitslosen“ geschehen können. Für deren Entlohnung wäre es dem Mann zuzumuten gewesen, notfalls einen Kredit in Anspruch zu nehmen.
Wegen der ungeklärten Fragen wurde der Fall zur abschließenden Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen
(Quelle VersicherungsJournal 07.10.2020)
Jürgen Zwilling und Ursula Zwilling
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